Aktuelle Stadtplanung vs. Berufsethik Architektur – ein Widerspruch?

(c) by Martina Miroli

Liebe Nachbarn,

auf Anregung von Frau Dr. Krupski-Brennstuhl möchten Herr Grünberger und ich heute ein Thema anschneiden, das fast schon philosophisch betrachtet werden darf. Gerade die Landeshauptstadt München (LHM) dient als Paradebeispiel, an welchem man die provokant formulierte Frage der Überschrift diskutieren kann.

Aus der Berufsordnung der Bayerischen Architektenkammer, Präambel mit Hervorhebungen durch uns:

Das wohlverstandene Interesse der Allgemeinheit an der menschenwürdigen Umwelt hat Vorrang unter allen Motiven, die für die Berufswahl und die Berufsausübung des Architekten bestimmend sind.

Der Architekt muß bei seiner Arbeit die Lebensbedürfnisse des Einzelnen und die der Gesellschaft berücksichtigen.

Die Lösung der ihm gestellten Aufgaben ist deshalb stets als Teil einer größeren, der Gesellschaft dienenden Ordnung anzusehen.

Uns interessiert also primär die Frage, wie sich die oben zitierten Auszüge in der aktuellen Stadtplanung und auch dem letzten veröffentlichten Stand der Planungen bei uns wiederspiegeln.

Bestandsaufnahme: Klimawandel und Versiegelung in München

Daß München als die mit am meisten versiegelte Gemeinde gelten darf, ist inzwischen unstrittig. So stellt die Untersuchung zur Bodenversiegelung des Gesamtverbandes der deutschen Versicherungswirtschaft (GdV) folgendes fest:

  1. München: 47%
  2. Oberhausen: 44%
  3. Hannover: 43%

Und als positive Beispiele werden genannt mit unter 20% Versiegelungsgrad: Freiburg, Saarbrücken, Münster und Erfurt.

Gleichzeitig zeichnet der Bericht zur Stadtklimaanalyse der LHM von 2014 (!) ein erschreckendes Bild von den anderen Parametern, die das Stadtklima nicht nur im Zentrum negativ beeinflussen. Hier einige Beispiele:

  • Konzentrierte Zentrums- und Blockrandbebauung in weiten Teilen des Stadtgebiets (Grafik S. 15)
  • Durchweg 6° Unterschied zwischen München Zentrum und umliegenden Grünflächen im Gemeindegebiet (Grafik S. 32)
  • Kaum bis gar nicht mehr stattfindende Belüftung, siehe Windgeschwindigkeitsverteilung auf S. 35, sowie die beiden Karten „Anlage 6“ und „Anlage 7“ aus diesem Dokument.

Und wörtlich zitieren darf ich auch die Konsequenz, die der Bericht unter anderem aufzeigt :

Für den menschlichen Organismus sind vor allem die besonders heißen Tage mit Lufttemperaturen von mehr als 30°C und damit einhergehenden bioklimatisch ungünstigen Bedingungen in den Siedlungsflächen belastend.

Davon betroffen sind insbesondere ältere oder sehr junge Menschen, aber auch Menschen, die schwere körperliche Arbeiten verrichten müssen. […] Analog zu den Sommertagen zeichnet sich ein markanter Anstieg der Hitzetage pro Jahr zur Mitte des Jahrhunderts ab. Im Jahr 2100 werden 44,4 Tage im Jahr mit einer Temperatur ≥ 30°C projiziert.

Konsequenzen für die Stadtplanung?

Spannend ist nun, ob und inwiefern sich diese Stadt-eigenen Untersuchungen zu den klimatischen Herausforderungen in der Stadtplanung niederschlagen. Bemerkt haben wir jedenfalls keine.

  • Noch immer werden bei Bebauungsplänen die Auswirkungen auf die Umwelt nur kleinteilig betrachtet – eine Gesamtplanung existiert zumindest unseres Wissens nach nicht öffentlich.
  • Es darf bezweifelt werden, daß die Naturschutzbehörden bei Lokalbaukommission und Stadtplanung wesentlich in Vorhaben einbezogen werden – mit obigem Ergebnis müßten diese ja ständig Einspruch einlegen gegen jedes neue Großprojekt.
  • Auswirkungen der steigenden Zahl von Menschen in allen Bezirken werden kaum untersucht oder berücksichtigt. Beispiel Nahverkehr als KFZ-Ersatz: planloser Aktionismus („Tram Westtangente“) zumindest im Bezirk 19.
  • Bedenken und Einblicke aus entsprechenden Gremien („Bezirksausschuß“) werden berücksichtigt, falls sie der städtischen Meinung nützen. Sachliche Einwände versickern beim BA und werden von den Verantwortlichen nicht ernst genommen.

Im Übrigen dürfen wir hier auf das Konzept zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels der LHM vom 7. Oktober 2016 hinweisen, das folgende 8 Ziele übergeordneten definiert:

  1. Sicherung und Verbesserung der klimatischen Ausgleichsfunktion auf gesamtstädtischer Ebene
  2. Sicherung und Entwicklung von klimawirksamen Freiflächen
  3. Sicherung und Schaffung einer guten Aufenthaltsqualität v. a. im öffentlichen Raum auf der Quartiers- und Objektebene
  4. Vorbereitung auf veränderte klimatische Rahmenbedingungen (Extremereignisse) in räumlichen Planungen
  5. Verbesserung der Datengrundlage
  6. Errichtung einer Informations- / Austauschplattform
  7. Bewusstseinsschärfung für das Thema Klimaanpassung, d.h. Verankerung der Herausforderungen des Klimawandels in Stadtgesellschaft und Verwaltung
  8. Verminderung gesundheitlicher Belastungen und Förderung des Wohlbefindens der Münchnerinnen und Münchner unter veränderten klimatischen Rahmenbedingungen

Die Anpassungsmaßnahmen wurden von den referatsübergreifenden Arbeitsgruppen erarbeitet. Dabei wurden sowohl bestehende Maßnahmen weiterentwickelt als auch neue Maßnahmen entwickelt. Von der Vollversammlung des Stadtrats wurden 26 Maßnahmen beschlossen.

Was meinen Sie, haben Verwaltung und Stadtrat diese Ziele schon berücksichtigt?

Zusammenhang mit Berufsethik

Danke an Herrn Grünberger, der als Architekt dann die berechtigte Frage anriß, wie denn die Berufsethik seiner Zunft mit aktuellen Planungen in München vereinbar ist. Sie erinnern sich, „Eingangstor zu Fürstenried mit 18 Stockwerken“.

Es scheinen zwei Dinge auffällig:

  1. „Wenn ich es nicht mache, tut es jemand anders.“
  2. Das Muster zwischen persönlichem Vorteil und Zurückstecken zum Wohle der Allgemeinheit (bzw. „Kunden“) finden wir überall wieder:
    • Der Unternehmensberater, der zwischen eigenem Honorar für möglichst lange Beratungsdienstleistung und möglicherweise kurzer Beratungszeit für seinen Kunden entscheiden muß. Wie oft schon erfüllt sich das Klischee des vorgeblich unwissenden externen Consultants, der seinen Kunden im eigenen Interesse gar nicht auf den Punkt gebracht und „knackig“ versorgt?
    • Genauso in der Pharmaindustrie: Sollen erforschte Medikamente nur der ersten Welt zur Verfügung stehe, die die Kosten aufbringen kann, oder sollen wir die Forschungsergebnisse auch weniger wohlhabenden Menschen zukommen lassen?
    • Oder auch in der Agrarindustrie: siehe Monsanto, jetzt Bayer. Robuste Getreidesorten, die der Menschheit nützen, versus Partikularinteresse der Eigentümer, möglichst viel Geld zu erwirtschaften.

Und eben auch die Gesamtheit der Architekten, zumindest hier in München: riskieren sie, die LHM als lukrativen Auftraggeber zu verlieren, um im Rahmen der Möglichkeiten behutsame Änderungen, ja vielleicht sogar Verbesserungen, an einem Stadtteil vorzunehmen? Oder sogar, ein Projekt wegen fundamentaler Bedenken hinsichtlich der Berufsethik wegen seiner Konsequenzen für die Stadt und die Bürgerscahft vollständig abzulehnen? Wie spielt hier im Gemeindegebiet der LHM die Monopolstellung der städtischen Referate bei Großprojekten eine Rolle?

Experten, die auf die negativen Konsequenzen lang und breit hinweisen, gibt es genug. Mindestens einen kennen Sie auch, Herrn Christian Hierneis vom BUND Naturschutz.

Inwiefern ist also für das beschriebene Dilemma (umweltverträgliche, nachhaltige und menschenwürdige Architektur) hier in München die Schuld bei der zentralen Stelle und letztlich auch Frau Merk als verantwortliche und unabhängige (?) Stadtbaurätin zu suchen?

Wie können wir einzelnen Personen die Zukunft unseres Lebensraumes noch anvertrauen, obwohl sich schon jetzt abzeichnet, daß die berechtigten Interessen der Betroffenen -Stand heute- noch immer keine Beachtung fanden?

Darf eine Stadtplanung überhaupt politisch gesteuert werden? Ist dann Objektivität überhaupt noch möglich?

Liebe Nachbarn, Sie sehen, Fragen über Fragen, und wenig Antworten. Ein Thema für den nächsten Stammtisch!

2 Kommentare vorhanden
  1. Nachreiner sagt:

    Die Berufsordnung von Berufsverbänden,Ärzten , Anwälten sowie das Grundgesetz und vorallem die
    Vereidigung von Politikern ist alles mitlerweile nur noch LARIVARI . Es zählt nur noch der Reibach.

  2. C.L. sagt:

    Berufsethik?

    Liebes Team von Pro-Fürstenried, daß Thema Berufsethik hat sich doch in allen Berufen, in denen es diese (angeblich) gibt, schon lange erledigt.

    Schauen Sie sich doch beim nächsten Apothekenbesuch mal um, was ihr Apotheker im Bereich „Freiverkäuflich“ alles so an (nachweislich) völlig unwirksamen dafür aber sehr teurem Schrott anbietet.

    Schauen Sie beim Arzt, welch unnütze und teure IGEL Ihnen angeboten werden. Falls Sie „Privat“ Patient sind, freuen Sie sich über ein Bombardement von Diagnoseleistungen (Labor, Röntgen, CT etc.) die treffsicher jeden „Schnupfen“ ausschließen bzw. bestätigen.

    Steuerberater, Rechtsanwälte etc., alles ehrbare von ethischen Gedanken geleitete Berufe.
    *Ironieaus*

    Da sind die armen Architekten in aller bester Gesellschaft.

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